Wie aus einem Ruf nach Freiheit, Gerechtigkeit und guten Ideen eine radikale Ideologie und ein vernichtender Krieg wurde.
Der Bauernkrieg des Jahres 1525 hinterließ auch im Landkreis Unterallgäu tiefe Spuren und verwüstete wie ein Flächenbrand innerhalb eines halben Jahres ganze Landstriche. Bereits im Winter 1524/1525 trafen sich im Oberallgäu Bauern und berieten, wie sie sich gegen ungerechte Abgaben, die noch verbreitete Leibeigenschaft und für eine wortgetreue und verständliche Bibelvermittlung in deutscher Sprache einsetzen könnten.
Diese Ideen verbreiteten sich unter der Landbevölkerung des gesamten Allgäus rasant schnell. Verursacht durch die wachsenden sozialen Ungerechtigkeiten und eine Missernte im Jahr 1524 war der Boden für radikale Laienprediger bereitet. So begannen im Frühjahr 1525 der Bauer Simon Lochmaier aus Winzer und der Theologiestudent Stefan Bußjäger aus Pfaffenhausen auf den Dörfern des Mindeltals das nun ins Deutsche übersetzte Evangelium zu predigen. Der bisher als gottgegeben verstandene Adel kommt darin nicht vor, alle Menschen sollten gleich sein, und Abgaben sind nur an den Kaiser, nicht aber an Adel und Kirche genannt. Ein deutsches Sprichwort aus dieser Zeit stellt darauf basierend den Adel und die mittelalterliche Grundherrschaft infrage: „Als Adam grub und Eva spann, wo war denn da der Edelmann?“
Die Prediger forderten alle auf, sich der neuen Bewegung anzuschließen – und auch alle, ob Bauer oder Adel, die sich ihnen nicht anschließen wollten, umzubringen. Die Forderungen der Bauern und kleinen Handwerker bezogen sich hauptsächlich auf die Abschaffung der Leibeigenschaft, das Jagdrecht, die Holznutzung, die Wahl des Pfarrers durch die Bevölkerung und die Bemessung der Abgaben an Herrschaft und Kirche.
Im April versammelten sich mehrere Bauernhaufen aus dem Ober- und Unterallgäu zu Verhandlungen für eine Einigung mit königlichen Gesandten und Adeligen in Kaufbeuren; jedoch wurde keine Einigung erzielt. Währenddessen wurden von herzoglich-bayerischen Reitern der Markt Buchloe und Wiedergeltingen, wo sich auch Bauernhaufen zusammentaten, niedergebrannt, um eine Ausbreitung des Aufstandes über den Lech nach Bayern zu verhindern.
Nun zog das inzwischen auf 8000 Mann angewachsene Bauernheer, von diesen Ereignissen empört, in verschiedene Richtungen. Sie animierten oder zwangen in allen Dörfern die Bauern zum Aufstand, plünderten und brandschatzten die Klöster Steingaden und Irsee und versorgten sich so mit Nahrungsmitteln, Geld und Waffen. Mit dem erbeuteten Geld wurden kampferprobte Landsknechte angeworben, um das Bauernheer zu einer schlagkräftigen Truppe zu formieren.
Was für eine Zeit… Dörfer, in denen nur noch Frauen und Kinder auf den Höfen arbeiteten, zigtausende Bauern und Handwerker mit Waffen und Harnisch unterwegs für eine Idee, die die Welt verändern sollte, überall Rauchsäulen brennender Burgen und Klöster am Horizont, die permanente Angst um Hab und Gut, Leib und Leben – verursacht durch plündernde Truppen beider Kontrahenten. Die Welt steht Kopf!
Am 20. April wurde das Schloss des Bundeshauptmanns Diepold von Stein in Mattsies ausgeraubt und verbrannt. Am 22. April stand das Heer vor der Burg des Kunz von Rietheim in Markt Wald, und es begann eine zweitägige, heftige Belagerung. Eine angeforderte Hilfstruppe des Schwäbischen Bundes mit 200 Reitern kam nie an.
Der Ritter und seine wenigen Knechte wehrten sich, aber das übermächtige Bauernheer erstürmte schließlich die Burg und überwältigte die Verteidiger, wobei Kunz von Rietheim durch einen Lanzenstich und Schwerthiebe verwundet wurde.
Durch die Zusage von 4000 Gulden sollte das Leben und die Burgen in Markt Wald und Tussenhausen (damals Angelberg genannt) verschont bleiben – doch nun wurden alte Rechnungen beglichen.
Ein Onkel von Rietheim war einst Fürstabt von Kempten, und dieser ließ den Vater des Allgäuer Bauernanführers Jörg Schmid, genannt Knopf von Leubas, bei einer früheren Bauernrevolte 1491 „aus dem Weg räumen“. Zusätzlich schwelte seit über 10 Jahren ein Konflikt der Tussenhausener und Zaisertshofener Bauern mit ihrem Grundherrn Kunz von Rietheim – es wurden nämlich von dem Adeligen zusätzliche Frondienste und Abgaben gefordert, althergebrachte Rechte beschnitten und Verträge über den Gemeindehirten gebrochen.
Dies wurde 1516 vor einem Richter des Schwäbischen Bundes geschlichtet, und Rietheim bei einer Strafandrohung von 600 Gulden zur Einhaltung der Vereinbarungen verpflichtet. In diesem Vertrag sind bereits weitgehend die Forderungen der Zwölf Artikel von Memmingen beinhaltet.
Im April 1525 verfassten die Angelberger Bauern eigene Artikel und Forderungen, die nach Memmingen geschickt und dort auf dem Marktplatz öffentlich bekannt gemacht wurden.
Als Rietheim nun in der Gewalt der Bauern war, konnte sich auch die angestaute Wut der eigenen Bauernschaft entladen. Jörg Schmid veranstaltete auf der Viehweide vor dem Dorf ein Strafgericht und forderte, Kunz von Rietheim wie einen ehrlosen Verbrecher in Landsknechtsmanier durch die Spieße zu jagen und hinzurichten.
Die Frau von Rietheim war in der Stadt Mindelheim in Sicherheit und schickte mit einem Boten Gold und Schmuck, und konnte so zumindest das Leben ihres Mannes freikaufen. Die Burgen zu Markt Wald und Tussenhausen wurden aber zwei Tage lang ausgeplündert und gingen schließlich in Flammen auf.
Rietheim wurde daraufhin von den Aufständischen an einen Karren gefesselt, tagelang als Trophäe mitgeführt und schließlich freigelassen.
In Kirchheim konnte die Witwe Dorothea von Hirnheim am 9. Mai das Schloss durch hohe Geldzahlungen vor der Zerstörung bewahren. Als ihre Bauern sich den Aufständischen nicht anschließen wollten, wurde aber der gesamte Ort geplündert. Kirchheim war seit 1490 ein florierender und schnell wachsender Marktort und garantierte der Bevölkerung offensichtlich Sicherheit und einen gewissen Wohlstand. Die Spur der brennenden Pfarrhäuser, Klöster und Burgen verlief immer weiter nach Norden.
Auf der anderen Seite des Mindeltals war der Winzerer Haufen, auch das Rote Fähnlein genannt, mit Bauern aus Pfaffenhausen, Hasberg, Winzer, Niederraunau und Mindelzell aktiv und brandschatzte das bischöflich-augsburgische Pflegschloss in Pfaffenhausen. Dort wurde eine Frau beschuldigt, für den Adel zu spionieren und die Brunnen zu vergiften; sie wurde im Schloss eingesperrt und mit verbrannt.
Ebenso verwüsteten sie die Schlösser in Weilbach, Niederraunau, Hohenraunau und das Kloster Ursberg. Beide Bauernhaufen vereinigten sich bei Thannhausen und belagerten das Schloss Münsterhausen. Nach der Erstürmung der Mauern und des Burghofs, mit Szenen wie in einem Mittelalterfilm, ging der Kampf in den Räumen weiter, bis schließlich die Verteidiger selbst eine brennende Lunte ins Pulverlager warfen und das Gemäuer mit allen darin befindlichen Personen in die Luft sprengten.
Von der Donau her kam in diesen Tagen das Adelsheer des Schwäbischen Bundes unter Georg von Waldburg, um die Dörfer und Herrschaften wieder in die Hand von Adel und Kirche zu bringen. In großen Schlachten und kleineren Scharmützeln hatte das zwar zahlenmäßig überlegene und inzwischen gut ausgerüstete Bauernheer dem teils berittenen und gut ausgebildeten Bundesheer wenig entgegenzusetzen. Es kam zu verlustreichen Auseinandersetzungen mit tausenden toten Bauern, die häufig auf der Flucht niedergemetzelt wurden. So fielen nun reihenweise die Dörfer, Klöster und Burgen von Nord nach Süd wieder an ihre alten Grundherren. Nun brannten die Höfe der Bauernführer, und viele von ihnen gerieten in Gefangenschaft.
Der Bauernkrieg im Allgäu endete schließlich am 15. Juli an der Leubas bei Kempten, als sich die mit etwa 20.000 Mann starken, zahlenmäßig etwa gleichgroßen Heere gegenüberstanden und das Bauernheer sich nach kleinen Gefechten und Verhandlungen in der Nacht auflöste und der verbliebene Rest kapitulierte.
Überall folgte ein hartes Strafgericht zur Abschreckung – so auch in Tussenhausen. Im Februar 1526 ließ Kunz von Rietheim die gesamte Bevölkerung vor dem Dorf zusammenkommen, und sechs Bauernführern aus Tussenhausen, Zaisertshofen und Markt Wald wurde der Kopf abgeschlagen, dreien wurde die Zunge herausgeschnitten und 26 Männern wurde ein Strick um den Hals gelegt. Sie wurden so um das ganze Dorf herumgeführt, und deren Familien konnten um ihr Leben bitten und sie freikaufen. Die Bauern ohne Zunge konnten nun nicht mehr verständlich sprechen, und noch heute nennt man die Zaisertshofener deshalb „Goaka“.
Nun wurden private und öffentliche Zusammenkünfte verboten, um neuen Aufruhr zu verhindern. Das bedeutete: keine Kirchweih, Hochzeitsfeiern nur mit beschränkter Personenzahl, kein Hoigata, keine Spinnstuben, kein Wirtshausbesuch. Es dauerte Jahre, bis in den Dörfern wieder ein normales Zusammenleben zwischen Bevölkerung und Herrschaft möglich war.
Für alle Beteiligten war das Jahr 1525 ein nie dagewesenes Schreckensszenario: Adelige mussten zusehen, wie ihre Burgen in Flammen aufgingen, die althergebrachte Religion wurde durch die Reformation auf den Kopf gestellt, ca. 70.000 Bauern verloren ihr Leben, die Höfe der Anführer wurden verbrannt, viele kamen als Krüppel nach Hause.
Und wozu das alles? Es gab mancherorts Verträge, in denen Abgaben und Frondienste neu geregelt und die Leibeigenschaft schrittweise abgebaut wurde. Doch das System blieb für weitere 300 Jahre das gleiche.
Es ist auch nach 500 Jahren immer noch erschütternd, wie schnell die Idee zur sozialen Veränderung durch Ideologen radikalisiert wurde – und dies in ganz Süddeutschland zu tausenden Opfern, verwüsteten Landstrichen und einer Zeit voller Misstrauen und Gewalt führte.
Leider hat die Menschheit nur wenig dazugelernt – auch heute spielen sich weltweit solche Szenarien ab. In Mitteleuropa haben sich nach weiteren Jahrhunderten voller Kriege und Umwälzungen die Ideen von Freiheit und Gerechtigkeit in Form unserer Demokratie durchgesetzt. Ein Gut, das hart erkämpft wurde – und es liegt an uns, diese Errungenschaft zu bewahren.
Ernst Striebel. Kreisheimatpfleger Unterallgäu, Mai 2025.